Palmen, Surfervibe und Sonnenuntergänge zum Dahinschmelzen, wenn Kalifornien eines ist, dann genau wie man es aus den Filmen kennt (und noch besser).
Mit heruntergekurbelten Fenstern und „California“ von Phantom Planet über die Lautsprecher dröhnend (wer sich noch an das Intro der Serie OC California erinnert, fängt vermutlich spätestens jetzt an den Refrain mitzusingen) fahren wir in den sonnigen Bundesstaat hinein. Wir sind bestens gelaunt, denn das Thermometer ist seit langem wiedermal über 20 Grad gestiegen, es ist kein Wölkchen in Sicht und die erste Attraktion wartet schon kurz nach der Grenze auf uns. Der Redwood National Park. Wir freuen uns schon seit Beginn unserer Reise auf die Baumgiganten, nun sind wir endlich da! Wir stellen Melvan im Campingplatz ab und machen uns zu Fuss weiter durch den Wald. Die Riesenbäume befinden sich nämlich nur an ganz bestimmten Stellen, an denen perfekte klimatische Bedingungen herrschen. Sogar uns fällt auf, dass die Luft im Wald sehr angenehm ist. In einem kleinen Tal, durch das ein Fluss sickert angekommen, sehen wir sie dann. UNGLAUBLICH GROSS! Wir hätten nie gedacht, dass uns ein Baum mal so beeindrucken kann. Auch die Verhältnismässigkeit einzuschätzen fällt schwer, denn die Bäume rund um den Giganten sind ebenfalls nicht gerade das Format, dass wir uns aus der Schweiz gewohnt sind. Wir wandern also noch ein wenig herum bis vom Staunen langsam Genickstarre bekommen, dann geht es schliesslich wieder zurück zum Campingplatz, wo wir die Nacht unter den massiven Baumkronen verbringen dürfen.
Auch wenn uns der Wald sehr gut gefallen hat, so haben wir nach wie vor immer noch nicht das Gefühl, genügend Sonne getankt zu haben. Uns zieht es an den Strand. In Crecent City, einer nahegelegenen Kleinstadt, bleiben wir erstmal am Hafen hängen. Darin schwimmt ein Floss, auf dem es sich Seelöwen gemütlich gemacht haben und sich vergnügt die Sonne auf den Pelz scheinen lassen. Gelegentlich bricht ein Machtkampf um die besten Plätze auf dem Floss aus, bei dem sich die Fleischkolosse anschnauzen und Seitenhiebe verpassen, was uns zugegeben sehr vergnügt.
Auf dem Weg zu unserem Parkplatz laufen wir an einem kleinen Strand-Café vorbei und sehen, dass dieses auch Surfbretter zur Miete anbietet. Eine Viertelstunde später stehen wir in Ganzkörperneopren im Ozean und versuchen uns die Tipps, welche wir einst von einem balinesischen Surflehrer bei unserer ersten Surflektion bekommen haben, wieder in Erinnerung zu rufen. Zum Glück ist der Strand menschenleer und wir haben die Wellen für uns alleine, so laufen wir immerhin keine Gefahr mit jemandem zu kollidieren, durchgespült werden wir aber auch so ordentlich. Spass macht das ganze trotzdem und nach gefühlten tausend versuchen stehen wir dann die eine oder andere Miniwelle sogar! Dennoch kapitulieren wir nach zwei Stunden Schleudergang und bringen unsere Surfbretter zum Café zurück, wo wir unsere Kraftstoffreserven auch gleich mit einem saftigen Burger und Pommes wieder auffüllen.
Und weiter geht’s nach Süden. Wir schlängeln uns der malerischen Küstenstrasse entlang. Als wir dann die erste Kleinstadt durchqueren, ist diese wie ausgestorben. Auch im nächsten Dorf sind sämtliche Lokale geschlossen. Immer mehr beschleicht uns das Gefühl, dass hier irgendwas nicht stimmt. Da wir schon ziemlich lange unterwegs sind, steuern wir den nächstgelegenen Campingplatz an. Die Betreiberin des Platzes klärt uns bei einem kurzen Schwatz dann endlich auf. In ganz Kalifornien wurde der Strom wegen (ein bisschen) Wind abgestellt, denn scheinbar waren die Stromleitungen bzw. umgekippte Bäume die Ursache für den letzten grösseren Waldbrand, woraufhin der Staat Kalifornien den Netzbetreiber verklagte. Als Retourkutsche legt nun der Stromlieferant jedes Mal, wenn es auch nur ein bisschen windet ganz Kalifornien lahm. Zu Fuss gehen wir in das nahegelegene Dörfchen Ferndale (wer weiss, wann wir das nächste Mal tanken können, denn auch fast alle Tankstellen sind geschlossen) und schlendern durch die menschenleeren Gassen. Was für ein Zufallstreffer! Viele der Häuser im Stadtkern sind noch aus den 20ern und werden mit viel Liebe instandgehalten und auch wenn die Restaurants und Cafés geschlossen haben, so lässt sich durch die Schaufenster schon viel Kreativität und liebe zum Handwerk erahnen. So vergeht der stromlose Tag und wir merken erst abends, wie wenig es uns betroffen hat. Ein schönes Gefühl.
Am nächsten Tag dann die Entwarnung. Der Wind hat abgeflacht, der Strom läuft wieder und wir kommen doch noch zu unserem Americano in einem der Cafés, dass wir bereit am Vortag ausgekundschaftet haben. Während wir an unseren Getränken schlürfen und dem bunten Treiben von Künstlern und Handwerkern in und um das Café zuschauen (im hinteren Teil des Lokals werden handgemachte Kanus aus Holz fabriziert), planen wir unsere Route für die nächsten Tage. Wir haben die Wahl zwischen dem Highway 101, der etwas landeinwärts entlangführt oder einer Küstenstrasse entlang nach Petrolia, der sogenannten „Lost Coast“, über die wir auf die schnelle keine Informationen im Netz finden. Gierig nach Meer und Abenteuer brechen wir auf.
Die Küstenstrasse entpuppt sich schon nach wenigen Meilen als absoluter Traum. Wir sind weit und breit die einzigen auf der kurvigen Strasse, die Aussicht über die hügelig-raue Landschaft mit dem Meer im Hintergrund ist phänomenal. Einziger Wermutstropfen: Die Strasse ist übersät von Schlaglöchern und teilweise so steil, dass wir im zweiten Gang und Schneckentempo hoch und mit voll durchgedrückter Bremse wieder runterfahren müssen.
Tatsächlich mussten wir zweimal für längere Zeit anhalten, um die Bremsen abkühlen zu lassen. So sind wir heilfroh, als wir nach fast vier Stunden fahrt endlich am Campingplatz angekommen und auch hier zeigt sich die kalifornische Küste von ihrer wohl schönsten Seite. Unberührte Strände wechseln sich mit steilen Klippen ab, die rot-gelben Hügel werden von der Gischt vernebelt, die der Wind landeinwärts trägt und das Meer bäumt sich in wogenden Wellen vor uns auf. Am menschenleeren Strand schauen wir uns den Sonnenuntergang an und sehen sogar noch ein paar Buckelwale vorbeiziehen. So gut wie in dieser Nacht haben wir schon lange nicht mehr geschlafen.
Von der Schönheit dieses Ortes angetan verlängern wir unseren Aufenthalt hier von Tag zu Tag, bis fast eine Woche vergangen ist und sich unsere Wasser- und Essensvorräte langsam dem Ende zuneigen. Die Zeit vertreiben wir uns mit langen Spaziergängen, viel Lesen und guten Gesprächen.
Tiefenentspannt nehmen wir den zweiten Teil der Küstenstrasse in Angriff, der sich zum Glück als weniger hügelig herausstellt und landen danach auf dem berühmten Highway 1. Trotzdem er als schnellste Verbindung von Nord nach Süd durch den Highway 101 abgelöst wurde, der etwas weiter landeinwärts verläuft, ist die Strasse sehr gut in Schuss. Für uns ein Segen nach der holprigen Fahrt. Leider widerspiegelt sich die Popularität der weltberühmten Strecke auch in den Preisen der Campingplätze. 35.- USD für einen staatlich betriebenen Campingplatz (die privaten sind meist noch teurer) und überall Schilder, dass wild campieren verboten ist vermiesen uns die schöne Aussicht ein wenig aber naja, was soll man machen. So schlängeln wir uns der Küste entlang Richtung San Francisco, unserem nächsten Fixpunkt.
Nachdem wir in Seattle beschlossen hatten, in den grösseren Städten jeweils Unterkünfte zu buchen, peilen wir in San Francisco direkt unser Airbnb an, dass etwas ausserhalb liegt. Wir verbringen den Rest des Tages damit unsere Nachbarschaft zu erkunden und landen unerwartet früh im Bett, denn eine Erkältung die ich (Mattia) schon seit Tagen mitschleppe, scheint sich endgültig über mich herzumachen.
Am nächsten Tag zieht Livia dann auch alleine los und lässt mich für den Tag zurück, damit ich mich möglichst schnell auskurieren kann. Ein komisches Gefühl, denn es ist das erste Mal seit fast vier Monaten, dass wir länger als 10 Minuten voneinander getrennt sind. Als Livia dann (endlich) wieder nach Hause kommt und mir von ihrem, leider nicht so positiven Eindruck der Metropole berichtet, geht es mir zum Glück schon ein bisschen besser. So nehmen wir am nächsten Tag gemeinsam den Bus Richtung Innenstadt, nur gebe ich diesmal, immer noch etwas schwach auf den Beinen, die Richtung und das Tempo an. Wir schlendern dem Pier entlang, erklimmen die steilen Strassen und bestaunen dabei die lustigen, farbigen Häuschen, die für San Francisco so typisch sind. Mir und auch Livia gefällt San Francisco plötzlich richtig gut. Nachdem wir laut unseren, im Handy integrierten Schrittzähler rund 30'000 Schritte kreuz und quer durch die Stadt getan haben, kehren wir völlig erschöpft und mit tausend guten Eindrücken wieder in unsere Unterkunft zurück. Es ist schon interessant, wie verschieden sich einem ein Ort präsentieren kann und vielfach entscheidet nur eine Abzweigung darüber, ob man sich in einem gepflegten Wohnquartier mit hübschen Vorgärten oder in einer nach Urin stinkender Gasse zwischen notdürftig zusammengeflickten Kartonbehausungen wiederfindet. Wir nehmen es als hübsche Anekdote fürs Leben und freuen uns, dass wir doch noch das „schöne“ San Francisco sehen durften.
Wer sich noch an unseren letzten Beitrag erinnert weiss, dass wir seit Oregon unsere Fenster nur noch mithilfe einer Zange rauf- und runterkurbeln können. Zwar haben wir im Internet zahlreiche Onlineshops gefunden, die die dringend benötigten Ersatz-Fensterkurbeln im Sortiment führen, da es uns aber an einer permanenten Wohnadresse mangelt, gestaltet sich der Bestellprozess eher schwierig. Ein Glück, dass wir an GoWesty, einem der grössten Vertreiber von Ersatzteilen für VW Vanagons, vorbeifahren. Wir haben sogar die Wahl zwischen den originalen Kurbeln und einer, etwas teureren, „heavy duty“ Version. Grinsend wie zwei kleine Kinder montieren wir die massiven Stahlkolosse an unseren Türen. Eines ist nun klar: Sollten wir die Steilküsten Kaliforniens hinabstürzen, in Flammen aufgehen oder von einem Panzer überrollt werden, die Fenster werden wir ab heute bis in alle Ewigkeit runterkurbeln können.
Mit den Fenstern unten geht es also weiter nach San Luis Obispo, einer Kleinstadt vor Los Angeles, wo wir uns in einem der vielen Surfshops einen schon lange bestehenden Wunsch erfüllen. Wir kaufen uns Skateboards! Die Anschaffung derer war in der Vergangenheit schon oft ein Thema, wobei die rationalen Argumente immer gesiegt haben. Zu viel Platz brauchen die beiden Rollbretter in unserem Van, der Nutzen als Fortbewegungsmittel ist doch eher gering, lässt das unser Budget zu und werden wir sie überhaupt nutzen? Wir haben in den vergangenen Tagen und Wochen aber auch gelernt, dass wir dieser inneren Stimme nicht mehr so viel Gehör schenken sollten. Wir befinden uns in der wunderbaren Lage, alles zu können und nichts zu müssen. Diese Freiheit zu haben und sich von über tief verankerten Denkmustern, geprägt von der Schul- und Arbeitswelt, zu lösen sind aber manchmal zwei Paar Schuhe. Heute hat es geklappt. Wir surfen auf dem Asphalt zu unserem Parkplatz zurück, jede Sekunde geniessend, in der uns der Fahrtwind durch die Haare gleitet.
Weiter geht es der Küste entlang nach Süden. Die beiden Skateboards haben wir zwischen unsere Sitze geklemmt, wo sie ohne weiteres Platz finden. Schon spannend wie man sich manchmal selbst im Weg steht. Vom Elan gepackt wollen wir auch unsere Skills im Wasser verbessern. In Pismo Beach mieten wir uns zwei Surfbretter und wagen uns ein weiteres Mal ins kühle Nass. Als wir uns gerade mühsam der Brandung entgegenkämpfen, schrecken wir kurz zurück. Was war das da draussen im Wasser? Hast du das auch gesehen? Sah aus wie eine… Rückenflosse! Beinahe sicher, dass uns in den nächsten Sekunden ein Hai das Bein anknabbern wird, wollen wir schon kreischend aus dem Wasser flüchten, da sehen wir die Flosse nochmals. Für einen Hai irgendwie zu klein. Da springt schon der erste Delfin kunstvoll aus dem Wasser! Scheinbar hat die Delfinschule sich dazu entschieden, genau an unserem Surfspot die Langeweile mit Luftsprüngen zu vertreiben. Mit gebührendem Abstand versuchen wir ebenfalls unser Glück in den Wellen, schauen zwischendurch den putzigen Tierchen zu und glauben tatsächlich schon ein bisschen besser zu sein als das letzte Mal. So oder so ein einmaliges Erlebnis, dass wir wohl so schnell nicht mehr vergessen werden.
Dass es uns an der Küste langweilig wird, können wir definitiv nicht behaupten, dennoch freuen wir uns, als uns die Strecke in Richtung Death Valley landschaftlich seit langem wieder etwas Abwechslung bietet. Mit jeder Meile, die wir weg vom Meer machen, wird die Landschaft karger und die Palmen werden von dornigen Büschen abgelöst. Bevor wir allerdings ins Tal der Toten abbiegen, steht noch ein, für den bisherigen Verlauf unserer Reise etwas merkwürdiger Stopp an, auf den wir uns nichtsdestotrotz schon seit langem freuen. Der SixflagMagicMountain Freizeitpark ist sowohl bei Touristen als auch Einheimischen ein beliebtes Ausflugsziel und gilt als grösster seiner Art. Dank seiner Lage ist er ganzjährig geöffnet und begrüsst auch uns im November mit Sonnenschein und 25 Grad. Doch anders als wir es von unseren Europapark-Besuchen gewohnt sind, stossen wir hier auf einen beinahe leeren Parkplatz. Beim Einlass zeigen wir unsere Tickets, ohne anzustehen und auch im Park selbst sehen wir uns vergeblich nach grösseren Menschenmassen um. Umso besser! Ziellos machen wir uns auf den Weg, stehen bei den Achterbahnen maximal fünf Minuten an und vergnügen uns köstlich! Wir werden durchgerüttelt und geschüttelt, probieren jede Bahn mindestens einmal aus und geben dann die Top 5 nochmals zum Besten. Erst als es uns vorkommt, als hätten wir ein gesamtes Astronautentrainingsprogramm in einem Tag absolviert und die Sonne sich langsam dem Horizont entgegen neigt, kehren wir dem Park den Rücken.
Die Luft wird trockener, immer weniger Vegetation gedeiht um uns herum und es wird merklich wärmer als wir, vorbei an riesigen Windparks auf einer schnurgeraden Strasse Richtung Death Valley fahren. Wir kommen uns vor als wären wir nun, nach absolviertem Astronautentraining, auf dem Mars gelandet. Doch so karg die Landschaft einem auf den ersten Blick auch scheinen mag, so vielfältig offenbart sie sich bei genauerer Betrachtung. Die Felsen sind von den seltenen Regengüssen abstrakt geformt worden, Sanddünen ragen aus dem nichts empor und eine riesige Salzkruste überzieht das Tal wie eine überdimensionale Bienenwabe. Fasziniert von den endlosen Weiten, der Stille und dem Sternenhimmel, der sich uns jede Nacht von neuem präsentiert, bleiben wir eine ganze Weile hier. Wir erkunden ausgetrocknete Canyons, skaten die endlosen, einsamen Strassen entlang und geniessen die Ruhe, bevor wir ins hektische Las Vegas eintauchen. Da wir uns nun aber bereits in Nevada befinden, muss diese Geschichte wohl oder übel bis zum nächsten Blogbeitrag warten. Bis dahin alles Gute und „viva Las Vegas!“