Ein Land, indem für uns eine Ära zu Ende geht. Über 24 Monate ist es her, als wir Hals über Kopf in das Abenteuer unseres Lebens eingetaucht sind. Nun befinden wir uns am südlichen Zipfel Nordamerikas und haben unterwegs keinen einzigen Staat ausgelassen.
Auch in Panama läuft der Prozess an der Grenze wie geschmiert. Vielleicht hat es aber auch mit der Erfahrung zu tun, die wir mittlerweile in solchen Dingen haben. Zwei Stunden geht es trotzdem, bis wir wieder auf der Strasse sind. Die ersten Kilometer hauen uns nicht gerade um. Karge Felder, zerfallende Dörfer und eine Menge Schlaglöcher. Wir versuchen möglichst Strecke zu machen und tatsächlich wird die Landschaft immer einladender, umso näher wir den Bergen kommen. Bevor es steil wird, gönnen wir uns noch eine Pause, lassen Melvan im Schatten etwas abkühlen und machen dasselbe einige Meter weiter in einem glasklaren Fluss. Danach geht es hoch auf fast 2000 M.ü.M. was Melvan gar nicht passt. Auf halber Strecke müssen wir Halt machen, weil uns der Motor zu überhitzen droht. Nach 15 Minuten Pause auf dem Pannenstreifen fahren wir mit mulmigem Gefühl weiter, kommen aber ohne weiter Zwischenfälle bei unserem heutigen Ziel an. Eine kleine, ebene Fläche gleich neben einer Forststrasse dient uns heute als Übernachtungsplatz. Nicht viel und doch alles was wir brauchen.
Am nächsten Morgen sind wir früh unterwegs. Ein wenig flau ist uns zwar immer noch wegen des gestrigen Zwischenfalls, wir kommen aber unbeschadet in Boquete an. Das Dörfchen liegt eingebettet zwischen Bergen in einem grünen Tal. Was wir nicht wussten ist, dass heute „Flag Day“ ist. Das ganze Dorf ist feierlich geschmückt und am Nachmittag ist ein Umzug quer durch das Dorf geplant. Wir stellen Melvan auf einem Campingplatz ab und mischen uns unters Volk. Der Umzug erinnert uns ein wenig an Sechseleuten. Verschiedene Zünfte marschieren durch die Strassen zu Marschkapellen und präsentieren stolz ihre Trachten. Überall sind Strassenstände, die verschiedenste Leckereien anbieten. Wir entscheiden uns für Erdbeeren mit Schlagrahm, setzten uns auf den Dorfplatz und schauen gespannt dem bunten Treiben zu. Die letzten Tage sind wir viel gefahren, nun wollen wir wieder etwas Bewegung in die steif gewordenen Knochen bringen. Ein Minibus bringt uns einige Kilometer aus dem Dorf und setzt uns am Beginn unserer Wanderroute ab. Da auch heute noch ein Feiertag ist, sind wir zwar nicht die einzigen auf dem Wanderweg, schön ist es aber trotzdem. Entlang eines plätschernden Flusses laufen wir immer tiefer in den Dschungel, bis wir an einem Wasserfall ankommen. Einige Leute trauen sich ins Wasser, uns ist es aber entschieden zu kalt und da es zu regnen beginnt, kehren wir schon nach einem kleinen Snack wieder den Rückweg an. Zurück in Boquete füllen wir unsere Energiespeicher mit Pizza wieder auf und kehren ziemlich erschöpft zum Campingplatz zurück.
Bewegung und frische Luft war genau das richtige, denn uns steht wieder ein lange Strecke bevor. Diesmal an die Pazifikküste nach Guanico. Wir fahren erst dem Panamerican Highway entlang bevor wir in die Küstenstrasse abbiegen, die von Kilometer zu Kilometer schmaler und einsamer wird. Bald sind wir die einzigen auf der Strasse und freuen uns schon auf einsame Strände. Falsch gedacht. Nach acht Stunden fahrt kommen wir endlich an unserem Ziel an und haben das Gefühl, direkt in ein Festivalgelände zu fahren. Autos kreuz und quer geparkt, dröhnende Musik und überall besoffene Leute. Wo sind wir hier bloß gelandet?! Im Schritttempo fahren wir zum Surf Hostel, das wir uns während der Fahrt als Übernachtungsplatz rausgesucht haben und fragen, was los ist. „Special Event“. Das sei einmal im Monat so. Wir fragen uns, weshalb sich die Dorfbewohner diese Lärmbelästigung gefallen lassen, sind aber auch zu müde um noch irgendwo anders hinzufahren. Eine ruhige Nacht wird es aber bestimmt nicht werden. Nach einigen Stunden unruhigen Schlafs stehen wir auf und wundern uns, weshalb unsere Batterie kein Strom mehr hat, obwohl wir uns am Abend vorher doch am Netz angeschlossen haben. Die Antwort finden wir am anderen Ende des Verlängerungskabels. Wir wurden ausgesteckt. Da kommt auch schon der Manager und erklärt uns lang und breit, dass er uns ausgesteckt hat, damit wir keine Klimaanlage oder ähnliches über die Nacht laufen lassen können und somit die Stromrechnung in die Höhe treiben. Etwas genervt frage ich ihn, ob wir so aussehen, als ob wir eine Klimaanlage hätten. Freunde werden wir beide in diesem Leben wohl nicht mehr. Um den Kopf ein wenig zu lüften, gehen wir am Strand spazieren. Die Partygäste sind abgereist und es ist wieder Ruhe im Dorf eingekehrt. Auf unserer Erkundungstour entdecken wir ein Restaurant mit Parkplatz direkt am Meer und fragen, wie viel es uns Kosten würde auf ihrem Grundstück zu campen. Wenn wir mal was essen oder trinken kommen würden, sei das genug, sagt uns die Besitzerin. Die Entscheidung fällt uns leicht, wir ziehen um. Wir packen zusammen und fahren die 200 Meter am Strand entlang, dann geht nichts mehr. Melvan streikt komplett und wir können gerade noch auf den Parkplatz ausrollen.
War’s das jetzt? Ist unser Motor kaputt? Waren die ganzen Investitionen in Costa Rica für nichts? Es fühlt sich an, als würde die ganze Welt über uns zusammenbrechen. Doch alles weinen bringt nichts. Wir sind mitten im Nirgendwo, der nächste Mechaniker einige Stunden entfernt. Wir müssen selbst ran. Ohne wirklich zu wissen, was wir tun, öffnen wir die Motorhaube und sehen uns um. Es dauert eine ganze Weile, bis mir eine lose Schraube auffällt, die an einem Kabel herumbaumelt. José Carlos, den wir per Whatsapp für Rat hinzugezogen haben, bestätigt, dass es sich dabei um den Temperatursensor handelt. Falsche Temperatur heisst falsches Luft/Benzin Gemisch. Fehler gefunden! Das Einbauen geht dann doch noch länger, da die Schraube denkbar ungünstig sitzt, aber Hauptsache Melvan läuft wieder! Nach getaner Arbeit klopft es an unserer Tür. Einem Schweizer Nachbarn sind wir wohl aufgefallen, russverschmutzt und schwitzig wie wir waren. Er und seine Partnerin haben sich ein Grundstück gleich am Strand gekauft und sind nun hier, um die Bauarbeiten, die bald beginnen sollen, zu überwachen. Da das Gelände momentan aber leer steht, laden sie uns ein, bei ihnen zu campen. Wie können wir da nein sagen? Die Lage ist einfach sagenhaft und der Garten grün und mit Palmen umrandet. Beim Kaffee erfahren wir, dass auch sie mal vorhatten der Panamericana entlang zureisen, sich dann aber in dieses kleine Dörfchen schockverliebt haben und hängen geblieben sind. Wir quatschen und quatschen, werden zum Abendessen mit anderen Auswanderern eingeladen und werden beinahe überzeugt, hier selbst ein Haus zu kaufen. Aber eben nur fast.
Wir verbringen noch einige Tage hier, surfen, wenn immer möglich und verdauen den Schock, den uns Melvan beschert hat. Als es dann Zeit wird zu gehen und wir uns von allen verabschieden, hat das Schicksal aber schon wieder andere Pläne für uns. Die letzten Tage hat es immer wieder stark geregnet und die Brücke, der einzige Weg aus dem Dorf, ist komplett überflutet. Wir stehen etwas ratlos da und warten einige Geländewagen ab, die sich trauen, für uns ist aber klar, dass für uns hier Schluss ist.
Neuer Tag, neues Glück. Auch wenn immer noch einiges an Wasser auf der Strasse ist, so ist es nichts im Vergleich zum Vortag. Wir kommen ohne Probleme auf der anderen Seite der Brücke an und fahren erneut der Küste entlang, bis wir wieder auf der Panamericana landen. Auch heute sind wir lange unterwegs und so entscheiden wir uns, die Nacht auf dem Parkplatz einer Tankstelle zu verbringen. Was eigentlich als Notlösung gedacht war, mündet in Begeisterung, insbesondere bei Livia. Die Anlage ist blitzeblank und hat nicht nur ein Restaurant, sondern auch saubere Duschen und sogar eine Waschmaschine, die wir benutzen können. Voller Tatendrang fängt Livia an, die Berge an Wäsche, die sich die letzten Wochen angesammelt haben, in die Maschine zu kippen, während ich mich nach der langen Fahrt etwas ausruhe. Nur ab und an werden wir von vorbeifahrenden Trucks geweckt, tatsächlich aber schlafen wir diese Nacht ganz gut. Nach einem Kaffee fahren wir weiter nach Valle de Anton. Das Dorf befindet sich inmitten eines riesigen, inaktiven Vulkankraters. Obwohl wir nicht mal 1’000 M.ü.M. sind, ist es hier schon bedeutend kühler als an der Küste. Entsprechend grüner ist auch die Vegetation, was sicher auch mit der vulkanischen Erde und dem tropisch feuchten Klima zu tun hat. Wir parken Melvan hinter einem Hostel, checken ein und schnüren wenig später unsere Wanderschuhe. Wir gehen entlang des südlichen Kraterrandes durch Wiesen und Wälder. Die Aussicht ist einfach atemberaubend. Rechts von uns haben wir einen spektakulären Blick auf das Tal und die umliegenden Berge, links sehen wir den Pazifik in der Ferne.
Und weil es so schön war, gehen wir am nächsten Tag gleich nochmal wandern. Diesmal auf die Nordseite des Kraters. Hier ist der Wald etwas tropischer. Wir kämpfen uns den steilen, wolkenverhangenen Hang hinauf und kommen schliesslich am Aussichtspunkt an. Der Blick auf das Tal bleibt uns wegen des Nebels heute leider verwehrt und dennoch ist es Balsam für die Seele umgeben von diesem satten Grün ganz alleine in der Natur zu sein.
Das Datum für die Verschiffung von Melvan rückt langsam näher. Leider gibt es trotz jahrzehntelanger Planung noch immer keine Strasse zwischen Panama und Kolumbien. Der offizielle Grund sind die zu hohen Kosten und aufwändige Bauarbeiten mitten im Dschungel, wenn man den Gerüchten glauben will, sind es aber eher die Kartelle, die diesen Korridor als Schmuggelpfad für sich beanspruchen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als Melvan von Panama nach Kolumbien zu verschiffen und so verabschieden wir uns wohl oder übel von dieser märchenhaften Landschaft und fahren nach Panama City. Wir sind mit Alejandro, dem Gründer von Overland Embassy verabredet. Die Firma hat sich auf die Verschiffung von Overlander-Mobilen aller Art spezialisiert und hilft auch uns durch den bürokratischen Dschungel zu navigieren. Wir werden herzlich in Empfang genommen und nach den Formalitäten erst mal im Büro und der Werkstatt herumgeführt. Das Gelände ist voll mit Wohnmobilen. Viele der Besitzer kennen wir bereits. Kein Wunder, ist Panama doch das Nadelöhr, indem man sich fast zwangsläufig wieder begegnet. Auch Robyn und Rafiq sind da. Nachdem wir in Costa Rica einen Monat auf Daku, ihren Hund, aufgepasst haben und sich schon länger herausgestellt hat, dass wir in etwa dasselbe Reisetempo haben, war die Entscheidung sich einen Container zu teilen schnell getroffen. Wir suchen uns einen Platz in der Einfahrt und richten uns so gemütlich ein, wie es eben geht. Die nächste Woche wird das unser Zuhause sein.
Heute ist Polizei Inspektion angesagt. Erst waren wir besorgt, dass uns das ganze Auto auf der Suche nach illegalen Substanzen zerlegt wird, aber Alejandro hat uns beruhigt. Es handelt sich um eine reine Formalität. Pünktlich um 9 Uhr treffen wir auf dem Parkplatz des Polizeipräsidiums ein und erhalten eine Nummer. Wir werden viel früher aufgerufen, was wahrscheinlich damit zu tun hat, dass der Polizist ein Auge auf Livia geworfen hat. Uns ist es peinlich, aber wir entscheiden uns, den erschlichenen Vorteil zu nutzten. Es werden Nummernschild, VIN Nummer und Fahrzeugtyp aufgeschrieben und kontrolliert, dann können wir wieder gehen. Am Nachmittag müssen wir dann im Hauptgebäude nebenan unsere Papiere abholen. Uns wurde gesagt, wir müssen pünktlich um 13:00 auf der Matte stehen, warten nach der Anmeldung aber trotzdem noch drei volle Stunden, bis wir unsere Papiere erhalten. Erster Schritt geschafft!
Wer mir vor drei Jahren gesagt hätte, dass ich an meinem 31. Geburtstag auf einem Parkplatz aufwachen werde, den hätte ich für verrückt erklärt. Vor den Toren der OverlanderEmbassy kochen wir uns erst mal Kaffee und machen uns dann an die Arbeit. Unser „Preshipping Briefing“ mit Alejandro ist auf den Nachmittag angesetzt und so haben wir uns entschieden, die verbleibende Zeit zu nutzten und ein paar Arbeiten an Melvan zu erledigen. Das Hochbett, welches wir bis heute kein einziges Mal benutzt haben, wird zu Stauraum umfunktioniert. Wir reissen die Matratze, Holzverschalung und Scharniere raus und zimmern uns ein Regal zusammen. Das Endresultat sieht gar nicht mal so übel aus, was aber noch viel wichtiger ist, ist, dass wir einiges an Platz gewonnen haben. Erfolg auf voller Linie!
Ein bisschen Geburtstag muss dann aber doch noch sein und so gibt es selbst gebackenen Schokoladenkuchen von Livia, der in der Garage die Runde macht und später gehen wir mit Robyn und Rafiq gemeinsam in die Altstadt. Nach ein paar Drinks gönnen wir uns ein sensationelles Dreigangmenü mit Weinbegleitung in einem italienischen Restaurant und lassen den Abend auf einer Rooftopbar mit Sangria ausklingen.
Die folgenden Tage verbringen wir vor allem damit, Melvan für die Verschiffung vorzubereiten. Wir putzen von innen und aussen, brauchen verderbliches auf und verpacken alle anderen Lebensmittel so gut es geht. Und dann ist er da, der grosse Tag. Das Verladen wäre für 11 Uhr angesetzt gewesen, aber der Container hat Verspätung. Das Warten macht uns fast wahnsinnig, aber ein paar Stunden später biegt der LKW dann endlich um die Ecke und plötzlich geht alles ganz schnell. Robyn und Rafiq sind zuerst dran. Ihr Camper, eine ausgemusterte kanadisches Ambulanz, ist bedeutend grösser als Melvan und es ist Millimeterarbeit, den Kasten in den Container zu bringen. Als alles verzurrt ist, sind wir an der Reihe. Rückwärts fahre ich auf den Abschleppwagen und werde zum Container, der auf einem zweiten Lastwagen steht, chauffiert. Nach nicht mal 5 Minuten ist Melvan verladen und die Tür verschlossen und versiegelt.
Mit leichtem Gepäck fahren wir mit einem Taxi zu einem Hotel, das wir für die letzte Nacht in Panama gebucht haben. Die Gegend ist scheusslich und der Taxifahrer warnt uns, hier nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Strasse zu gehen, aber das Zimmer ist sauber und der Preis unschlagbar. Wir laden unser Gepäck ab, gehen noch ein paar Dinge einkaufen, die wir für die kommenden Tage brauchen werden und essen, weil es so lecker war, noch einmal bei Masa Santa; dem italienischen Restaurant. Danach lassen wir uns von einem Uber zum Hotel bringen und fallen todmüde ins Bett. Was für ein Tag!
Mit Melvan im Container geben wir das erste Mal seit Beginn unserer Reise die Verantwortung für unser rollendes Zuhause ab und wir müssen gestehen, es ist ein gutes Gefühl, die Zügel loszulassen. Speziell die letzten Wochen waren stressiger, als wir gedacht hätten. Umso mehr freuen wir uns auf unsere Überfahrt nach Kolumbien! Um 9 Uhr werden wir von einem Shuttle abgeholt und gemeinsam mit den anderen Gästen des Segeltrips an einen Hafen an der Karibikküste gefahren. Nach zwei Stunden Fahrt werden wir von der Crew herzlich in Empfang genommen und gebeten erst mal noch im Restaurant Platz zu nehmen. Das Boot ist noch nicht ganz startklar. Für uns eine gute Gelegenheit, die anderen Passagiere kennenzulernen, schliesslich werden wir die nächsten 5–6 Tage auf kleinstem Raum miteinander verbringen.
Sicherheitsbriefing, Kajüten-Zuteilung und dann ist es endlich so weit, wir stechen in See! Die ersten 8 Stunden werden wir auf offenem Meer segeln, weshalb die Crew uns empfohlen hat, unsere Medikamente gegen Seekrankheit schon vor der Abfahrt einzunehmen. Ein guter Ratschlag. Nicht einmal eine Stunde vergeht, bis sich die ersten Passagiere über die Reling beugen müssen. Livia und mir geht es verhältnismässig gut, nur die Nebenwirkungen des Medikamentes machen uns zu schaffen. Wir sind beide unglaublich müde, können aber nicht schlafen. Als dann das Abendessen serviert wird, bin ich der einzige, der nach einem Nachschlag fragt. Die meisten bekommen keinen Bissen runter. Vielleicht geht es mir doch besser als ich dachte.
Als wir ankern, ist es bereits dunkel. Nur die ruhiger gewordene See lässt vermuten, dass wir uns in der Nähe von Land befinden. Umso grösser ist die Überraschung, als wir am nächsten Morgen auf Deck gehen. Ein Paradies tut sich vor unseren Augen auf. Umgeben von saphir-blauem Meer ragen zwei Inseln direkt vor uns aus dem Wasser. Auf einer davon lässt gerade der Captain den Ausreisestempel in unsere Pässe eintrage, welche er am Abend zuvor eingesammelt hat, danach ist Niemandsland.
Die nächste Insel ist nicht weit. Mit dem Dingi werden Eisboxen und Tagesrucksäcke auf die Insel transportiert, während die, die wollen, rüberschwimmen. Etwas mulmig ist uns schon, sofern ab der Zivilisation in offenem Meer zu schwimmen, aber die Abenteuerlust überwiegt und so springen wir ins Wasser. Auf der anderen Seite angekommen erkunden wir erst mal alles, was wegen der Grösse der Insel allerdings nach fünf Minuten erledigt ist. Es wird Volleyball gespielt, in der Hängematte gelegen, gebadet und viel getrunken. Die Stimmung unter den Gästen ist gut. Alle scheinen die gestrige Überfahrt schon fast wieder vergessen zu haben oder zumindest sind wir uns einig, dass sich die Strapazen schon jetzt ausbezahlt haben. Als es langsam dunkel wird, serviert uns der Koch das Abendessen und wir sind alle erstaunt, wie man in einer so kleinen Schiffsküche für 20 Personen ein solches Menu zaubern kann. Nachdem wir, hungrig wie die Bären nach so einem anstrengenden Tag, alles hinuntergeschlungen haben, lassen wir den Abend am Lagerfeuer mit ein paar Bier und guter Musik ausklingen.
Neuer Tag, neue Insel. Nach einigen Stunden segeln kommen wir an einem Eiland an, dass noch kleiner ist als das gestrige. Ein paar Palmen ragen aus dem Sand, ansonsten ist da eigentlich nichts. Nichts ausser das Paradies und das haben wir wieder mal ganz für uns alleine. Wir knüpfen nahtlos an unsere gestrigen Aktivitäten an und schwimmen und schnorcheln um Boot und Insel herum. Ein kleines Segelboot, das wohl schon mit unserer Ankunft gerechnet hat, kommt angefahren und legt an unserem Bug an. Dem Koch steht die Freude ins Gesicht geschrieben. Voller Stolz und Vorfreude streckt er zwei riesige Schalentiere in die Luft. Heute gibt es Hummerpasta!
Ein Tag später finden wir uns auf Insel Nummer 3 wieder. Zu tun gibt es nicht viel, und das ist auch gut so. Livia hält ein Kaffeekränzchen mit drei anderen Mädels vom Boot und verbringt rekordverdächtige vier Stunden in einem Rettungsring treibend im Wasser, während ich einmal um die Insel schnorchle und zusammen mit den Jungs vom Captain, der im Dingi sitzt, auf einem Surfbrett umhergezogen werde. Nach dem Mittagessen auf dem Boot springen Livia und ich gleich ins Wasser, um uns ein wenig abzukühlen, denn gerade in den Mittagsstunden ist es brütend heiss. Plötzlich hören wir Schreie vom Boot. „Shark!“ Erst halten wir es für einen blöden Witz, dann sehen wir einen grossen, dunklen Schatten unter uns vorbeiziehen. Livia ist innert Sekunden aus dem Wasser. Entgegen meiner Instinkte bleibe ich und lasse mir Taucherbrille und Schnorchel von Bord werfen. Mit klarem Blick bestätigt sich meine Vermutung, es ist ein Ammenhai. Nicht dass ich Meeresbiologe wäre, aber mit diesen Tieren sind wir schon in Belize geschwommen und sie sind absolut harmlos. Vermutlich vom Boot angelockt Inder Hoffnung, ein paar Essensreste, die Überbord gehen zu ergattern, zieht er noch eine Weile umher, entscheidet sich dann aber unverrichteter Dinge wieder in die Tiefe zu verschwinden.
Ende der Insel-Idylle. Um 17:00 Uhr stechen wir ein weiteres Mal in offene See, diesmal aber bedeutend länger als am ersten Tag. 30–50 Stunden kann es dauern, bis wir das nächste Mal auf Land treffen werden. Die Stimmung ist gedrückt und es ist ruhig an Bord, was sicher auch mit den Nebenwirkungen der Tabletten zu tun hat. Livia verkriecht sich schon nach wenigen Minuten in unsere Kabine, die sie bis zu unserer Ankunft in Cartagena auch nicht mehr verlassen sollte. Mir geht es bedeutend besser, obwohl ich wegen der Nebenwirkungen diesmal auf die Einnahme des Medikaments verzichtet habe. Als es dunkel wird und sich die Meisten schon in ihre Kajüten verzogen haben, liege ich noch auf Deck und schaue zu, wie ein Stern nach dem anderen am nächtlichen Himmel aufleuchtet. Nur wenig später sind es Millionen. Ich weiss nicht, wann ich das letzte Mal die Milchstrasse so klar erkennen konnte, aber der Anblick war einfach atemberaubend.
Am nächsten Tag sehen wir bereits aus der Ferne, wie ein Gewitter aufzieht. Der Regen ist wie eine weisse Wand, die unserem Schiff immer näher kommt, nicht bedrohlich, aber dennoch mächtig. Da Süsswasser auf einem Segelboot Mangelware ist, haben die meisten von uns seit vier Tagen nicht mehr geduscht. Als ein Crew-Mitglied „Freeshower!“ in die Runde schreit, lass ich mir das nicht zweimal Sagen. Mit Seife und Handtuch unter dem Arm, renne ich auf Deck. Die See um uns ist plötzlich ganz ruhig und scheint tief aus ihrem Innern dunkelblau zu leuchten. Dick wie Oliven und erstaunlich warm prasseln die Regentropfen vom Himmel und waschen mir das Salzwasser vom Leib. Es ist schwer zu beschreiben, aber obwohl mir die gesamte Schiffsbesatzung zugeschaut haben muss, war ich in diesem Moment ganz alleine auf dieser Welt.
Frisch geduscht kommen wir nach gerade mal 28 Stunden im Hafen von Cartagena an. Ein Rekord für dieses Schiff, wie uns der Captain mitteilt. Livia hat sich aus ihrem Versteck gewagt, sieht aber von der Überfahrt sichtlich mitgenommen aus. Mittlerweile ist es dunkel und als wir anlegen, hat das Migrationsbüro schon geschlossen. Wir müssen also wohl oder übel noch eine Nacht im Hafen verbringen. Uns ist es recht, denn in der Erwartung erst später anzukommen, haben wir unsere Unterkunft erst ab dem folgenden Tag gebucht. Als wir dann am nächsten Morgen unsere Pässe vom Captain entgegennehmen, denn auch hier wurde die Migration netterweise von ihm übernommen, packen wir unsere Sachen, verabschieden uns von Crew und Passagieren, bedanken uns für einen anstrengenden aber wundervollen Trip und machen uns leicht schwankend auf den Weg zu unserem Hostel.